Manche der rund 90 Besucher der „Fernen Klänge“ im Haus im Park der Körber-Stiftung gaben begeisterte Laute von sich, andere hielten ein Schläfchen und am Ende stürmte sogar eine Dame auf die Bühne. Gestört hat das keinen – denn die Konzertreihe ist speziell für Menschen mit Demenz konzipiert.
Ingrid und Rainer feiern heute ihren 57. Hochzeitstag. Früher hat Rainer seine Frau zu diesem Anlass oft mit Karten für Jazz- oder Klassikkonzerte überrascht. Doch seit der heute 82-Jährige vor 15 Jahren an Demenz erkrankt ist, haben seine kognitiven Fähigkeiten immer mehr nachgelassen. Er vergisst vieles, die Orientierung fällt ihm schwer und er spricht kaum noch.
Auf kulturelle Erlebnisse mit ihrem Mann möchte Ingrid dennoch nicht verzichten. Aus diesem Grund sind die beiden an diesem Nachmittag mit Bus und Bahn anderthalb Stunden quer durch Hamburg ins Haus im Park der Körber Stiftung in Bergedorf gefahren. Denn hier spielt heute das Kammerorchester Ensemble Resonanz, das sonst im kleinen Saal der Elbphilharmonie residiert, ein Klassikkonzert für Menschen mit Demenz.
Eingenickt, zu spät – kein Problem bei den „Fernen Klängen“
Das Besondere daran: Das Programm dauert nur rund 55 Minuten, bei den Stücken wechseln sich eingängige Werke der Musikgeschichte mit bekannten Volksliedern zum Mitsingen ab. „Am wichtigsten ist aber, dass Personen mit Demenz, die sich vielleicht anders verhalten, als das ,normal’ ist, bei dem Konzert willkommen sind“, erklärt Doris Kreinhöfer, die stellvertretende Leiterin des Haus im Park der Körber-Stiftung. Damit solche Veranstaltungen künftig leichter zu finden sind, hat die Stiftung gemeinsam mit anderen Kulturanbietern ein Piktogramm entwickelt, das für Demenzsensibilität steht.
Aber was bedeutet das in der Praxis? Ingrid und Rainer erfahren es gleich zu Beginn des Konzerts. Rainer ist nämlich so müde von der Anfahrt und den vielen Eindrücken des Tages, dass er im Café auf seinem Stuhl einschläft. „Das macht doch nichts, dann lassen wir die Türen noch ein wenig offen“, sagt Doris. Ingrid weckt ihren Mann sanft aber bestimmt und die beiden folgen Doris in das Theater des Hauses. Das Ensemble hat bereits angefangen zu spielen und die rund 90 Zuschauer singen „Komm lieber Mai“. Von den Zuspätkommern scheint hier keiner irritiert. Ingrid und Rainer sinken in die stoffbezogenen Klappsessel einer der hinteren Reihen.
Vogelzwitschern beim Konzert für Menschen mit Demenz
Auf einmal ertönt Vogelzwitschern im Raum. Die Zuschauer blicken sich erstaunt um, dann merken sie, dass es zum Programm gehört. Auf der Bühne spielen die Musiker die ersten Takte von Vivaldis „Der Frühling“. „Ach, ist das schön“, flüstert Ingrid. Sie lauscht der Musik, lässt dabei aber Rainer nicht aus den Augen. Eine Reihe hinter den beiden sagt eine Frau zu ihrer Begleiterin: „Jetzt bist du aber doch ein bisschen müde, oder?“ Eine andere Besucherin gibt zwischendurch immer wieder begeisterte Kommentare zur Musik ab.
Beim nächsten Mitsinglied „Nun will der Lenz uns grüßen“ hält Ingrid Rainer den Text hin, der zu Anfang des Konzerts verteilt wurde. Mit dem Finger fährt sie die Zeile entlang, bei der sie und die anderen gerade sind. Aber Rainer singt nicht, er sitzt nur da, verschränkt die Hände und schließt die Augen. Ingrid greift die Hand ihres Mannes und wippt damit im Takt.
Präsenz und Nähe zum Publikum
Das Ensemble Resonanz sorgt für eine ganz besondere Stimmung in dem kleinen Theater – die Mitglieder sind offensichtlich mit viel Freude bei der Sache, das spürt auch das Publikum. Bei dem letzten Mitsinglied, „Oh Täler weit, oh Höhen“ kommen einige Musiker von der Bühne herunter, verteilen sich im Raum und singen mit, sodass ihre Stimmen aus allen Richtungen erklingen. „So erzeugt das Ensemble Resonanz eine hüllende Atmosphäre – genau wie bei unseren Elfi-Babykonzerten für Schwangere und Eltern mit Babys, bei denen wir fast dieselben Stücke spielen“, sagt Charlotte Beinhauer. Die Musikvermittlerin von der Elbphilharmonie hat das Konzertprogramm gemeinsam mit dem Violinisten und Orchestermitglied Gregor Dierck für Menschen mit Demenz entwickelt.
Für das letzte Stück, „Mai Nozipo“ von Dumisani Maraire steigen zwei der Streicher auf Trommeln um. Das Publikum klatscht im Takt, danach applaudiert es begeistert und fordert eine Zugabe, also spielt das Ensemble das Lied noch einmal. Bei der anschließenden Verbeugung stürmt eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne, sie will zu einem der Musiker. Ihre Begleiterin versucht, sie zurückzuholen, doch die Künstler auf der Bühne lächeln freundlich und zeigen der Frau den Weg nach unten. So etwas kommt bei den „Fernen Klängen“ eben manchmal vor, dafür haben hier alle Verständnis.
Gemeinsam etwas Schönes erleben
Rainer ist unterdessen schon wieder eingenickt. Was er von dem Konzert mitbekommen hat und ob er sich daran später noch erinnern wird, kann auch seine Frau nicht sicher sagen. „Aber ich habe es sehr genossen, zusammen mit meinem Mann hier zu sein“, sagt sie. Als Doris ihr ein Taxi rufen will, lehnt Ingrid dankend ab: „Das schaffen wir schon, das sind wir ja gewohnt.“ Die 77-Jährige hakt ihren Mann unter und gemeinsam machen sie sich auf den Heimweg.
Am 17. Dezember 2018 findet das nächste Konzert der Reihe „Ferne Klänge“ im Haus im Park statt. Infos und Tickets gibt es auf www.elbphilharmonie.de
#Demenz
#Musik